Sprache, Identität und der Verlust in der dritten Generation

Sprache ist mehr als nur ein Werkzeug zur Kommunikation. Sie trägt Kultur, Identität und Geschichte in sich. Besonders spannend wird es, wenn eine Sprache über Generationen hinweg in einer neuen Umgebung weiterlebt – genau das beschreibt der Begriff „Heritage Language“. In diesem Artikel möchte ich Henry Ertner die wichtigsten Inhalte aus meiner Dissertation zu diesem Thema zusammenfassen und erklären, warum die sogenannte dritte Generation oft den entscheidenden Wendepunkt darstellt.

Was bedeutet „Heritage Language“?

Der Begriff „Heritage Language“ bezeichnet eine Minderheitensprache, die in der Familie weitergegeben wird, jedoch aufgrund der dominanten Sprache des Umfelds oft nicht vollständig entwickelt wird. Sehr schöne Darstellung von Maria Polinsky:

Die Sprecher wachsen bilingual auf, beherrschen jedoch die Umgebungssprache – zum Beispiel Englisch in den USA – deutlich besser. Diese Definition wurde von Guadalupe Valdés (2000) geprägt und beschreibt die besondere Situation der sogenannten „Heritage Speaker“.

Valdés definiert sie als:

„Individuals raised in homes where a language other than English is spoken and who are to some degree bilingual in English and the heritage language.”

Diese Definition lässt sich auch auf andere Länder übertragen. Entscheidend ist, dass die Sprache der Vorfahren als erste Sprache vorhanden war, aber durch den Wechsel zur Umgebungssprache nicht vollständig ausgebildet wurde. Beispiele finden sich weltweit – von Spanisch in den USA über Türkisch in Deutschland bis hin zu Deutsch im Riesengebirge.

Die Ursprünge des Konzepts: Veltmans „Language Shift“

Bevor der Begriff „Heritage Language“ etabliert wurde, beschäftigte sich der Soziolinguist Calvin Veltman in den 1980er-Jahren mit dem sogenannten „Language Shift“ – dem Übergang von einer Muttersprache zur dominanten Sprache des Aufnahmelandes. In seinen Arbeiten zur spanischsprachigen Bevölkerung der USA zeigte er, wie soziale und kulturelle Faktoren dazu führen, dass Migrantensprachen im Laufe der Zeit an Bedeutung verlieren.

Dieser Prozess, bei dem die Sprache der Großeltern oft in der dritten Generation verschwindet, bildet die Grundlage für das Verständnis von „Heritage Languages“. Veltman betonte dabei, dass Migration nicht nur zu Sprachverlust, sondern auch zur Bewahrung von kulturellen Traditionen beitragen kann – je nachdem, wie stark die familiäre und soziale Bindung zur Herkunftssprache bleibt.

Migration als Schlüssel zur „Heritage Language“

Migration ist der Hauptfaktor, der zur Entstehung einer „Heritage Language“ führt. Menschen bringen ihre Sprache und Kultur in ein neues Land mit, geben sie an ihre Kinder weiter – doch der Einfluss der Umgebungssprache ist stark. Die zweite Generation wächst meist bilingual auf, während die dritte Generation oft nur noch rudimentäre Kenntnisse der Herkunftssprache besitzt. Dieser Prozess ist ein weltweites Phänomen, das sich sowohl in den USA als auch in Europa und anderen Teilen der Welt beobachten lässt.

Besonders spannend ist, dass Migration nicht nur Sprachverlust bedeutet. Durch transnationale Gemeinschaften und kulturellen Austausch kann die „Heritage Language“ auch bewahrt werden. Familien, Schulen und kulturelle Organisationen spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Der Sprachverlust in der dritten Generation

Ein zentraler Punkt in der Forschung zur „Heritage Language“ ist der Sprachverlust, der häufig in der dritten Generation eintritt. Diese Tendenz wurde von zahlreichen Wissenschaftlern untersucht, darunter Eowyn (2013), der den Prozess wie folgt beschreibt:

„Statistically, by the third generation, Americans have lost the language that came to the country with their grandparents.”

Warum passiert das? Die Gründe sind vielfältig:

  • Dominanz der Umgebungssprache: Kinder der zweiten Generation wachsen bilingual auf, sprechen aber im Alltag vor allem die Mehrheitssprache. Ihre eigenen Kinder (die dritte Generation) lernen die „Heritage Language“ oft nur noch passiv oder gar nicht mehr.
  • Soziale Integration: Der Wunsch, sich anzupassen und Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein, führt häufig dazu, dass die Herkunftssprache weniger gepflegt wird. Bildung und Berufschancen hängen oft von der Beherrschung der Umgebungssprache ab.
  • Fehlende kulturelle Bindung: Wenn die dritte Generation nur noch wenig Kontakt zur Kultur und Sprache ihrer Großeltern hat, schwindet das Interesse an der „Heritage Language“.

Dennoch gibt es auch Gegenbeispiele. In Familien, die großen Wert auf die Pflege ihrer Sprache legen, kann die „Heritage Language“ über Generationen hinweg erhalten bleiben. Kulturelle Veranstaltungen, zweisprachige Schulen und der Austausch mit der Herkunftsgemeinschaft spielen dabei eine wichtige Rolle.

Der besondere Status der „Heritage Speaker“

„Heritage Speaker“ sind Menschen, die mit zwei Sprachen aufwachsen: der Sprache ihrer Eltern und der dominanten Sprache der Gesellschaft. Diese Zweisprachigkeit bietet sowohl Vorteile als auch Herausforderungen. Sie verstehen oft die Sprache ihrer Eltern, können sie aber nicht immer fließend sprechen. Gleichzeitig besitzen sie ein kulturelles Verständnis, das monolingualen Sprechern fehlt.

Linguistisch gesehen zeigen „Heritage Speaker“ häufig Besonderheiten in Aussprache, Grammatik und Wortschatz. Diese Merkmale resultieren aus dem frühen Kontakt mit zwei Sprachen und dem unterschiedlichen Sprachangebot in Familie und Gesellschaft.

Warum das Thema auch heute relevant ist

In einer globalisierten Welt nimmt die Bedeutung von „Heritage Languages“ weiter zu. Migration, kulturelle Vielfalt und transnationale Netzwerke führen dazu, dass immer mehr Menschen bilingual aufwachsen. Gleichzeitig besteht die Gefahr des Sprachverlusts, wenn die Herkunftssprache nicht aktiv gefördert wird.

Forscher wie Olga Kagan, Maria Polinsky und Silvina Montrul betonen daher die Wichtigkeit von Bildungsprogrammen, die gezielt auf die Bedürfnisse von „Heritage Speakern“ eingehen. Solche Programme helfen nicht nur beim Spracherwerb, sondern stärken auch die kulturelle Identität und die Verbindung zu den eigenen Wurzeln.

Sprache als Brücke zwischen den Generationen

Das Konzept der „Heritage Language“ zeigt, wie eng Sprache, Kultur und Identität miteinander verwoben sind. Der Sprachverlust in der dritten Generation ist zwar ein häufiges Phänomen, aber kein unausweichliches Schicksal. Mit bewusster Förderung, kultureller Wertschätzung und dem Erhalt von sozialen Netzwerken kann die Sprache der Vorfahren auch über Generationen hinweg lebendig bleiben – als Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ich Henry Ertner verstehe mich als Brückenbauer.

Deutsch Was ist eine „Heritage Language“?

English What Is a “Heritage Language”?

Česky Co je to „Heritage Language“?


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