Im Eröffnungsvortrag der Reihe „Phantastisches Böhmen“ erzählte Prof. Dr. Stefan Samerski von Otfried Preußlers Kindheit, dem sagenhaften Räuber Hotzenplotz und einer verschwundenen Heimat.

Am 28. April 2025 durfte ich Henry Ertner im Adalbert-Stifter-Saal in München dabei sein, als Prof. Dr. Samerski mit spürbarer Leidenschaft die neue Vortragsreihe „Phantastisches Böhmen“ eröffnete. Thema des Abends: Räuber Hotzenplotz, Otfried Preußler und die magische Kraft von Geschichten, die eine ganze Welt über Grenzen und Zeiten hinweg bewahren.

Hotzenplotz: Ein Name bleibt

Am Anfang stand ein Ort, der kaum noch einer kennt: Hotzenplotz – auf Tschechisch Osoblaha –, ein kleines Städtchen im nordmährischen Schlesien, nahe der polnischen Grenze. Heute ist dort nicht mehr viel zu finden. Häuserlücken, stille Straßen, kaum Erinnerungen an die Vergangenheit.

Hotzenplotz Osoblaha

Prof. Samerski beschrieb dies offen:

Wenn Sie heute nach Hotzenplotz – also Osoblaha – fahren, dann werden Sie enttäuscht sein. Historisch gesehen ist da kaum noch etwas zu entdecken.

Und doch überlebt der Name – nicht auf Landkarten, sondern in einem Märchen, das Millionen von Kindern seit Generationen begleitet.

Otfried Preußler: Kindheit in Böhmen

Otfried Preußler wurde 1923 in Reichenberg (Liberec) geboren, in eine Familie, die ursprünglich Syrowatka hieß. Seine Eltern liebten Sprache, Märchen und Heimatkunde. Geschichten waren Teil des Alltags – erzählt an langen Abenden, in dunklen Winternächten, zwischen Wäldern und Bergen.

Diese frühe Prägung ließ Preußler nie los. Auch nicht, als er seine Heimat verlor und nach Bayern kam. Laut Prof. Samerski sagte Preußler selbst über den Namen „Hotzenplotz“:

Ich habe den Namen als Kind gehört. Ich war nie dort, aber er blieb mir im Gedächtnis und ließ mich nicht mehr los.

Hotzenplotz war für ihn nie nur ein geografischer Punkt – sondern ein Klang, ein Stück Kindheit, eine Tür in eine Welt, die mit Worten wiedererweckt werden konnte.

Der Räuber Hotzenplotz – ein Welterfolg

1962 erschien „Der Räuber Hotzenplotz“ – und wurde zu einem der größten Erfolge der Kinderliteratur:

  • Übersetzung in 55 Sprachen
  • Über 30 Millionen Exemplare weltweit verkauft

Der Räuber Hotzenplotz, ausgerüstet mit einer Pfefferpistole und einem Siebenfachen Taschenmesser, war kein furchteinflößender Bandit. Er war ein Schelm, ein Lausbub, ein Spiegelbild kindlicher Abenteuerlust. Prof. Samerski brachte es auf den Punkt:

Die Kinder sollen auch ihre Kindheit haben. Der Ernst des Lebens kommt früh genug.

Kasperl und Seppel – seine Gegenspieler – verkörpern nicht rohe Kraft, sondern Witz, List und Freundschaft und das macht Preußlers Geschichten bis heute so zeitlos. Sie bewahren die Idee, dass Mut, Klugheit und ein gutes Herz jede Herausforderung besiegen können.

Hotzenplotz und das Bistum Olmütz

Historisch gesehen war Hotzenplotz im Mittelalter kein literarischer, sondern ein kirchlicher Ort von Bedeutung. Der Bischof von Olmütz (Olomouc), Bruno von Schaumburg, machte sich im 14. Jahrhundert zum Herzog von Hotzenplotz. Ein Spiel mit Titeln und Wappen, wie es im Mittelalter oft üblich war.

Prof. Samerski zeigte:

Das Wappen der Bischöfe von Olmütz – das ist nichts anderes als das alte Wappen von Hotzenplotz.

Eine kleine, fast vergessene Machtgeste – bewahrt in alten Wappensiegeln und heute in den Bildern einer fantastischen Räubergeschichte wieder lebendig.

Geschichten, die Brücken schlagen

Heute wachsen auch in Tschechien viele Kinder mit den Abenteuern von Hotzenplotz auf. Das Buch wurde ins Tschechische übersetzt, mehrfach aufgeführt und adaptiert. Figuren wie Kasperl und Seppel leben in neuen Versionen weiter.

Ohne große Gesten hat Otfried Preußler mit seinen Geschichten eine stille Brücke zwischen Kulturen geschaffen. Nicht als politisches Projekt, sondern durch die gemeinsame Sprache der Fantasie.

Warum wir Märchen brauchen

Prof. Samerskis Vortrag war mehr als eine historische Betrachtung. Es war eine Einladung, sich zu erinnern an die Macht von Geschichten, die Kinder stark machen, die Heimat bewahren, auch wenn der Boden unter den Füßen verloren geht. In einer Zeit, in der vieles schneller und härter wird, sind Preußlers Märchen ein sanftes Versprechen, dass Mut, Freundschaft und Lachen niemals alt werden.

Ausblick: Rübezahl und die Berge der Sagen

Die Reihe „Phantastisches Böhmen“ wird fortgesetzt: Am 23. Juni 2025, um 19:00 Uhr, spricht Prof. Dr. Stefan Samerski wieder im Adalbert-Stifter-Saal über die Gestalt der Berge Rübezahl (Krakonoš) und da freue ich mich besonders, da komme ich her.

Original Phantastisches Böhmen: Prof. Dr. Samerski über den Räuber Hotzenplotz, Otfried Preußler und die verlorene Heimat www.henryertner.com

English Fantastic Bohemia: Prof. Dr. Samerski on the Robber Hotzenplotz, Otfried Preußler and a Lost Homeland

Česky Phantastisches Böhmen: Prof. Samerski o loupežníku Hotzenplotzovi a Otfriedu Preußlerovi


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