Identität und Sprache sind untrennbar verbunden: Sprache formt unser Denken, spiegelt unsere Herkunft und hilft uns, unsere Einzigartigkeit auszudrücken. Sie ist zentrales Werkzeug auf dem Weg zur Selbstfindung und Identitätsbildung.

Im deutschen Sprachgebrauch wird das vielschichtige und komplexe Konzept der „Identität“ mit einer Vielzahl von Bedeutungen und Aspekten verknüpft. Duden, das Große Wörterbuch der deutschen Sprache, unterscheidet:

  1. Identität wie in der Fügung jemandes Identität feststellen als „Echtheit einer Person oder Sache“ oder als „völlige Übereinstimmung mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird“,
  2. Identität wie in den Ausdrücken seine Identität finden, suchen, eine neue Identität im Sinne einer „als selbst erlebten inneren Einheit einer Person“ sowie
  3. Identität im Sinne einer „völligen Übereinstimmung mit jemandem, in Bezug auf etwas, Gleichheit“.

(DUDEN, 1999)

Die Frage nach der eigenen Identität ist von zentraler Bedeutung für das menschliche Dasein und beschäftigt nicht nur Philosophen, Psychologen und Sprachwissenschaftler, sondern jeden einzelnen Menschen in seinem individuellen Leben. Sie stellt uns vor die Aufgabe, uns selbst zu erforschen, unsere innersten Überzeugungen, Werte und Ziele zu hinterfragen und nach dem Wesen dessen zu suchen, was uns einzigartig macht. Diese Suche nach Identität ist eng mit der Sprache verbunden, denn sie ermöglicht uns, unsere Gedanken, Gefühle und Erfahrungen zu artikulieren und zu reflektieren.

Die Sprache dient als mächtiges Werkzeug, um uns selbst und unsere Identität zu erfassen und auszudrücken. Durch die Verwendung von Wörtern und Sprachkonstruktionen können wir unsere Persönlichkeit, unsere Herkunft, unsere Wünsche und unsere Zugehörigkeit vermitteln. Sprache ermöglicht uns, uns mit anderen Menschen zu verständigen, uns in sozialen Kontexten auszudrücken und unsere Identität in Beziehung zu anderen zu definieren.

Darüber hinaus prägt Sprache auch unser Denken und unsere Wahrnehmung. Sie formt unsere kognitiven Prozesse und unsere Interpretation der Welt um uns herum. Unsere Sprache beeinflusst, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir unsere Identität verstehen. Sie ermöglicht uns, uns in eine kulturelle Gemeinschaft einzubinden und unsere kulturelle Identität auszudrücken.

Ohne Sprache wäre es uns nicht möglich, unsere Identität zu erforschen, zu reflektieren und mit anderen zu teilen. Sie ist das Medium, durch das wir unsere Gedanken und Gefühle ausdrücken, unsere Lebenserfahrungen vermitteln und uns mit unserer inneren und äußeren Welt verbinden. Sprache ist somit ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses der Identitätsfindung und Identitätsentwicklung.

Eine Vielzahl von Fragen kommen in diesem Zusammenhang auf und regen zum Nachdenken über die grundlegenden Aspekte des Selbst, der Identität und der Sprache an.

„Wer bin ich?“

ist eine existenzielle Frage, die uns dazu bringt, uns selbst zu hinterfragen und unsere einzigartige Individualität zu erforschen. Die Sprache spielt bei der Identitätsbildung eine zentrale Rolle. Die Suche nach der eigenen Identität beinhaltet auch die Frage nach dem Ursprung und den Einflüssen, die uns zu dem machen, was wir sind.

Wir nehmen uns die Zeit, über die vielfältigen Erfahrungen, Beziehungen und Umstände nachzudenken, die uns geprägt und uns zu dem einzigartigen Menschen gemacht haben, der wir heute sind. Eine solche tiefgreifende Reflexion wäre ohne die nuancierten und ausdrucksstarken sprachlichen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, nicht denkbar.

Die Sprache spielt somit eine außerordentlich wichtige und zentrale Rolle bei unserer Identitätsbildung. Dabei können sowohl die positiven als auch die negativen Einflüsse, denen wir begegnet sind, eine bedeutsame Rolle spielen und maßgeblich dazu beitragen, wie wir uns selbst wahrnehmen und verstehen.

„Sind wir in der Lage, uns selbst vollständig zu verstehen und zu identifizieren?“

oder gibt es Aspekte unseres Wesens, die uns verborgen bleiben? Dieser Prozess der Selbsterkenntnis kann ein lebenslanger Weg sein, der uns dazu anregt, uns mit unseren Gedanken, Gefühlen, Überzeugungen und Werten auseinanderzusetzen.

Erkenne dich selbst

„Gnothi seauton“ (γνῶθι σεαυτόν)

„Erkenne dich selbst!“

ist eine der berühmten apollonischen Weisheiten, die am Tempel von Delphi in Griechenland eingraviert waren. Dieser Spruch, der aus der Antike stammt, verweist auf die essentielle Bedeutung der Selbstreflexion und Selbsterkenntnis.

Die Aufforderung, sich selbst zu erkennen, geht über oberflächliche Selbstbetrachtung hinaus. Sie eröffnet den Weg zu einer tieferen Verbindung mit dem eigenen Wesen und zur bewussten Auseinandersetzung mit den inneren Kräften und Potenzialen. Diese Selbsterkenntnis umfasst sowohl die bewussten Aspekte unserer Persönlichkeit als auch die unbewussten Schichten, die uns beeinflussen.

Das Delphische Orakel hatte eine große Bedeutung im antiken Griechenland und wurde als Quelle göttlicher Weisheit angesehen. Die Inschrift „Gnothi seauton“ erinnerte die Besucher daran, dass das Streben nach Selbsterkenntnis ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens ist. Es war eine Erinnerung daran, dass der Weg zu innerer Harmonie, persönlichem Wachstum und Weisheit darin besteht, sich selbst zu verstehen und mit seinem inneren Wesen in Einklang zu bringen.

Die Idee der Selbsterkenntnis als Grundlage für persönliches Wachstum und moralische Entwicklung ist ein verbindendes Glied zwischen der alten Weisheitstraditionen und neuen Entwicklungen, die durch unterschiedliche Traditionen dargestellt werden.

Franz Kafka „Erkenne Dich selbst“

Franz Kafka, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der in Prag lebte und sein Werk auf Deutsch geschrieben hat, hat viele Themen behandelt, die eng mit der Idee der Selbsterkenntnis verbunden sind.

Franz Kafka war ein Jude und auch ein Sudetendeutscher. Obwohl Kafka vor allem für seine Prosa bekannt ist, hat er auch Gedichte verfasst, die Einblicke in seine Gedankenwelt und seine Auseinandersetzung mit dem Thema der Identität bieten.

In dem Gedicht „Erkenne Dich selbst“ stellt Kafka die Frage nach dem eigenen Wesen und der eigenen Identität dar. Es ist ein poetischer Ausdruck der Suche nach Selbstverständnis und Selbsterkenntnis.

Erkenne Dich selbst bedeutet nicht:

Beobachte Dich.

Beobachte

Dich ist das Wort der Schlange.

Es bedeutet:

Mache Dich zum Herrn Deiner Handlungen.

Nun bist Du es aber schon,

bist Herr Deiner Handlungen.

Das Wort bedeutet also:

Verkenne Dich!

Zerstöre Dich!

Also etwas Böses

und nur wenn man sich sehr tief hinabbeugt,

hört man auch sein Gutes, welches lautet:

„um Dich zu dem zu machen, der Du bist.“

Franz Kafka

Das Gedicht fordert den Leser auf, sich mit den eigenen inneren Widersprüchen und Unsicherheiten auseinanderzusetzen und sich selbst besser zu verstehen. Kafkas Werk insgesamt bietet eine weiterführende Lektüre, um sich mit den existenziellen Fragen der Identität, der Sprache und Selbstreflexion auseinanderzusetzen.

Eine der möglichen weiterführenden Fragen, die unsere Identität bestimmen, ist die Frage, die deutlich hinter die Kulissen zielt, nämlich:

„Wer schaut durch meine Augen?“

und bezieht sich auf die Frage nach dem Bewusstsein und der subjektiven Erfahrung. Sie lässt uns über die Natur des Selbst und die Beziehung zwischen dem inneren Bewusstsein und der äußeren Welt nachdenken. Es ist eine Frage, die philosophische, psychologische und metaphysische Betrachtungen umfasst und zu verschiedenen Antworten führen kann.

Die Beschäftigung mit der eigenen Identität ist ein fortwährender Prozess, der sich im Laufe des Lebens weiterentwickelt. Wir sind ständig auf der Suche nach Antworten und bemühen uns, uns selbst besser kennenzulernen und zu verstehen. Dabei können Literatur, Kunst, Philosophie, persönliche Erfahrungen und die Interaktion mit anderen Menschen wichtige Quellen der Erkenntnis sein.

Letztendlich ist die Frage nach der Identität eine individuelle Reise, die jedem Menschen einzigartige Antworten und Einsichten liefert. Sie eröffnet die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung, zur Entdeckung der eigenen Stärken und Schwächen sowie zur Entfaltung des vollen Potenzials unseres Selbst.

Kleiner Auszug aus meiner Dissertation Kapitel 2 Theoretische Grundlagen – von der Sprache bis zur “Heritage Language” Unterkapitel 2.6 Identität und Sprache

Original Identität und Sprache, Erkenne Dich selbst wie Franz Kafka www.henryertner.com

English Identity and Language — Know Yourself like Franz Kafka

Česky Identita a jazyk — Poznej sám sebe jako Franz Kafka


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