Am 14.2.2025 eröffnete der renommierte Historiker Prof. Dr. Arnold Suppan im Heiligenhof in Bad Kissingen die Veranstaltungsreihe „80 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs und die Vertreibung der Sudetendeutschen – Gedenken und Lernen„. Prof. Suppan, geboren 1945 in St. Veit an der Glan, Kärnten, studierte Geschichte und Germanistik an der Universität Wien. Nach seiner Promotion im Jahr 1970 war er als Universitätsprofessor an der Universität Wien tätig. Prof. Suppan bekleidete von 2011 bis 2013 sowie 2021 das Amt des Vizepräsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

In seiner präzisen Analyse zeigte Prof. Suppan, dass der Prozess der Vertreibung der Sudetendeutschen nicht mit den Potsdamer Beschlüssen begann. Der Prozess der Vertreibung hatte eine lange Vorgeschichte, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht.

Henry Ertner Heiligenhof Sudetendeutsche Prof. Dr. Arnold Suppan
1848 – Der Beginn nationaler Spannungen

Prof. Suppan führte seine Zuhörer weit zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Habsburgermonarchie eine multinationale Vielvölkerstruktur aufwies. Zur Veranschaulichung hatte er eine Karte mitgebracht.

„Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Karte mitgebracht, der Habsburger Monarchie…“

Schon damals prallten deutsche und tschechische Interessen in Böhmen und Mähren aufeinander. Der tschechische Historiker František Palacký, der sein erstes Werk „Geschichte Böhmens“ unter dem Namen Franz Palacky auf Deutsch schrieb, lehnte eine Teilnahme an der Frankfurter Nationalversammlung ab und betonte stattdessen die slawische Identität Böhmens. Dies legte den Grundstein für die nationale Dualität der böhmischen Länder, die sich in den folgenden Jahrzehnten verschärfte.

Nationalisierung und Konfliktgemeinschaft im späten 19. Jahrhundert

Suppan zeigte auf, dass die zunehmende Nationalisierung der Politik und Gesellschaft die Kluft zwischen Deutschen und Tschechen vertiefte. Besonders die Teilung der Prager Universität im Jahr 1882 in eine deutsche und eine tschechische Institution war ein Symbol für die wachsende Entfremdung. Mit einem Augenzwinkern kommentierte er:

„Diese Teilung war immer so weit, dass dann auch der Botanische Garten geteilt wurde – weil es tschechische und deutsche Blumen gab.“

Auch die Badeni-Sprachenverordnung von 1897, die Tschechisch als gleichberechtigte Verwaltungssprache einführen wollte, führte zu massiven Protesten der deutschen Bevölkerung und schließlich zu ihrer Rücknahme.

Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie

Ein weiteres zentrales Thema des Vortrags war der Erste Weltkrieg und seine Folgen. Prof. Suppan betonte, dass die tschechischen Soldaten in der k.u.k. Armee weitgehend loyal blieben, entgegen der späteren nationalen Propaganda.

„Ich habe die tschechischen Kollegen geschockt, als ich darauf hingewiesen habe, dass die Tschechen bei den Totenverlusten an der dritten oder vierten Stelle standen.“

Dennoch führte der Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 zur einseitigen Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik, ohne Beteiligung der sudetendeutschen Bevölkerung. Der Versuch, in den mehrheitlich deutschsprachigen Gebieten eigene Provinzen zu gründen, wurde durch tschechische Truppen unterbunden, was 1919 zu blutigen Auseinandersetzungen führte.

Zwischenkriegszeit: Diskriminierung und Radikalisierung

In der ersten Tschechoslowakischen Republik waren die Sudetendeutschen die größte Minderheit, wurden jedoch zunehmend diskriminiert. Insbesondere die Wirtschaftskrise von 1929 traf die sudetendeutsche Industrie hart, während die Regierung die tschechische Schwerindustrie förderte. Diese soziale und wirtschaftliche Benachteiligung führte zur Radikalisierung vieler Sudetendeutscher und stärkte den Einfluss der Sudetendeutschen Partei unter Konrad Henlein, die ab 1935 offen eine Angliederung an Deutschland forderte.

Der Münchner Vertrag und der Zweite Weltkrieg

Die Annexion des Sudetenlandes durch Hitler-Deutschland 1938 wurde von vielen Sudetendeutschen zunächst begrüßt. Doch Prof. Suppan verdeutlichte, dass dies der Anfang einer tragischen Entwicklung war. Nach dem Krieg wurden die Sudetendeutschen pauschal für die nationalsozialistische Herrschaft verantwortlich gemacht, was in ihrer Vertreibung mündete. Suppan erinnerte daran, dass die Vertreibung nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch völkerrechtlich höchst problematisch war:

„Wir haben also hier eine Völkerverschiebung vor 80 Jahren erlebt, die natürlich gegen das bestehende Völkerrecht war.“

Fazit

Der Vortrag von Prof. Suppan zeigte eindrucksvoll, dass die Vertreibung der Sudetendeutschen nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger nationaler Spannungen war. Besonders eindringlich war sein Hinweis auf das politische Kalkül hinter der ethnischen Säuberung:

„Die neue Idee war nicht die Schaffung neuer Nationalstaaten, sondern möglichst durch ethnische Säuberungen national einheitliche Staaten zu schaffen.“

Dabei machte er deutlich, dass das Schicksal der Sudetendeutschen exemplarisch für zahlreiche Bevölkerungsverschiebungen des 20. Jahrhunderts steht – oft stillschweigend hingenommen oder gar legitimiert. Seine differenzierte Darstellung regte zur Reflexion an und bot zahlreiche neue Perspektiven auf ein bis heute kontrovers diskutiertes Kapitel der (sudeten-)deutsch-tschechischen und europäischen Geschichte.

Wer sich weitergehend mit der Thematik befassen möchte, dem sei sein Buch „1000 Jahre Nachbarschaft: ‚Österreicher‘, ‚Tschechen‘ und ‚Sudetendeutsche‘“ (2023) empfohlen. Mit seinem Vortrag in Bad Kissingen und seinem Buch leistet Prof. Suppan einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der komplexen (sudeten-)deutsch-tschechischen Vergangenheit – und zur Verständigung für die Zukunft.


0 Antworten zu „Prof. Dr. Suppan eröffnet im Heiligenhof: Der Weg zur Vertreibung der Sudetendeutschen“