Vor Kurzem hatte ich das Vergnügen, mich mit dem Berliner Journalisten Ulrich Miksch am Heiligenhof zu unterhalten. Er erzählte im Rahmen des Seminars „80 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs und die Vertreibung der Sudetendeutschen – Gedenken und Lernen. Teil 1: Der Weg zur Vertreibung“ die beeindruckende Geschichte „Abschied von Böhmen“ von Wenzel Jaksch, einem sudetendeutschen Sozialdemokraten, dessen Schicksal die Tragik und den Mut jener Deutschen verkörpert, die sich den Nationalsozialisten widersetzten. Jakschs Flucht aus Prag im März 1939 war nicht nur ein persönliches Drama, sondern ein symbolischer Abschied von Böhmen von einer untergehenden Welt.
Die Zerschlagung der Tschechoslowakei war ein Schock für die Welt. Nach dem Münchner Abkommen 1938 hatte man gehofft, dass Hitler mit den bereits eroberten Gebieten zufrieden sei. Doch am 15. März 1939 marschierte die Wehrmacht in Prag ein, und die Erste Tschechoslowakische Republik hörte auf zu existieren. Präsident Emil Hácha wurde gezwungen, die Kontrolle über sein Land an die Nationalsozialisten abzugeben.
Ein Demokrat in schwierigen Zeiten
Wenzel Jaksch wurde 1896 in Böhmen geboren und entwickelte sich zu einer führenden Figur der deutschen Sozialdemokratie in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Er war nicht nur politisch mit dem Land verwurzelt, sondern mit seinem ganzen Herzen. Die DSAP, deren Vorsitzender Jaksch war, kämpfte bis zuletzt gegen die nationalsozialistische Ideologie. Während viele Sudetendeutsche in Hitler die vermeintliche Zukunft sahen, war Jakschs Perspektive eine andere: Er warnte unermüdlich vor der Diktatur, die Millionen ins Unglück stürzen würde. Doch mit der Besetzung Prags wurde auch sein Schicksal besiegelt.
Die dramatische Flucht aus Prag
In der Nacht zum 15. März 1939 spürte Jaksch, dass der Moment des Abschieds von Böhmen gekommen war. Reinhard Heydrich, der als enger Vertrauter Hitlers und führender Kopf der SS die Kontrolle über das besetzte Gebiet hatte persönlich einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Dies hat Jaksch erst später erfahren. In seinen Erinnerungen steht:
„Ich war allein. Ungewohnte Stille herrschte auf einmal in der Zimmerflucht, die noch vor wenigen Stunden einen letzten Ansturm der Hilfesuchenden erlebt hatte.“
Er wusste, dass er in der Stadt, die ihm so viel bedeutete, nicht mehr sicher war. Freunde warnten ihn: Die Gestapo hatte bereits den Befehl zu seiner Verhaftung. Jaksch suchte Zuflucht in der britischen Gesandtschaft in Prag. Dort musste er sich verstecken, da eine offizielle Ausreisegenehmigung nicht in Sicht war. Doch lange konnte er nicht bleiben, da die Gestapo bald Verdacht schöpfte und das Gebäude überwachen ließ. Der einzige Weg in die Freiheit führte über eine riskante Route in die Beskiden, ein Grenzgebirge zwischen der Tschechoslowakei und Polen. In einer Verkleidung, die ihn als einfachen Arbeiter tarnte, wagte er sich hinaus in die Stadt, die nun von den Hakenkreuzfahnen überschattet wurde und fuhr mit dem Zug richtung Mähren.
„Mit einem Schlage verstummte der Streit. Mich umschauend, sah ich gerade noch, wie sich der Schaffner händeringend und mit geschlossenen Augen an die Wand lehnte, als ob er einer Ohnmacht nahe wäre. Er hatte mit dem sicheren Instinkt des kleinen Mannes geahnt, dass wir in den letzten fünf Stunden um unser Leben gespielt hatten.“
Abschied von der Heimat
Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Auf dem Weg in die Freiheit – durch Schneestürme, eisige Temperaturen und die ständige Gefahr, entdeckt zu werden – war Jakschs Herz schwer. In der letzten Nacht vor der Grenze kam er in einer Bauernstube unter. Dort, in der Wärme des Ofens, als die Bauertöchter alte mährische Lieder sangen, wurde ihm der Abschied von seiner Heimat vollends bewusst.
„Tränen der Rührung über dieses Abschiedsidyll rollten über meine Wangen. Niemand schien es zu bemerken. Aber die jüngste der Sängerinnen, – sie war kaum 14 Jahre alt – ahnte es in ihrer Kinderseele, dass hier ein Drama gespielt wurde.“
Schließlich gelang Jaksch mit Hilfe mutiger Fluchthelfer die Überquerung der Grenze.
„Dann streifte der Führer die Schneerinde von einer Fichte, zeigte uns eine markierte Stelle am Stamm und sagte: ‚Hier ist Polen.’“
Es war geschafft. Doch es war nicht der Triumph, den er sich gewünscht hatte. Der Schmerz des Verlusts war größer als die Erleichterung der Rettung.
Ein Stoff für die Leinwand
Die Geschichte der dramatischen Flucht von Wenzel Jaksch ist so bewegend, dass sie eine filmische Umsetzung verdient. Ähnlich wie „Schindlers Liste“ ein breites Publikum über die Grausamkeit des NS-Regimes, aber auch über die Menschlichkeit eines Einzelnen aufklärte, könnte ein Film über Jaksch zeigen, dass es mutige deutsche Demokraten gab, die sich gegen Hitler stellten.
Ein Vermächtnis der Versöhnung
Wenzel Jakschs Geschichte Abschied von Böhmen beweist, dass nicht alle Deutschen dem Nationalsozialismus folgten. Jaksch war ein Mann, dessen Herz für Böhmen schlug, der seine tschechischen Freunde liebte und der bis zum letzten Moment versuchte, eine Brücke zwischen Deutschen und Tschechen zu erhalten. Doch nach dem Krieg konnte er nie mehr in seine Heimat zurückkehren. Sein Vermächtnis ist bis heute eine Mahnung:
Die Heimat ist nicht nur ein Ort, sondern ein Gefühl, das bleibt – auch wenn man sie nie wiedersehen darf.
Deutsch 16. März 1939 – Abschied von Böhmen Wenzel Jaksch
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